Miniermotten sind das Letzte! Der Gustav hat sie schon seit ein paar Jahren und irgendwie werden wir die Viecher nicht los. Jeden Frühling kommen sie aufs Neue daher. Aber der Gustav ist, Gott sei Dank, eh kein Weh und steckt das locker weg. Wer sich grad wundert, dem sei gesagt: Gustav heißt mein Kastanienbaum - Gustav Löwenherz um genau zu sein - aber das ist eine andere Geschichte. Wir waren bei den Motten. Der Kastanienbaum, also, ist verseucht mit diesen Viechern - den Miniermotten. Deren Nachkommenschaft überwintert alljährlich im Laub. Im Frühjahr schlüpft die Brut und hockt den Sommer über wieder droben im Baum. Seit ich das weiß, klaube ich im Herbst jedes einzelne von Gustavs Blättern vom Boden auf, stopf es in einen Sack und bring es auf die Mülldeponie. So auch letzte Woche. Das Auto voll mit Laubsäcken komme ich daher zum Müllplatz der Herren von der Saubermacher AG - so heißt das hiesige Abfallentsorgungsunternehmen, ohne Schmäh. Da fährst Du hin, zeigst Deine Berechtigungskarte und dann darfst Du Deinen Mist trennen, aber nur den Sauberen. Den Verunreinigten musst Du wieder mitnehmen und zur Sonderentsorgungsstelle bringen, mitsamt einem fünf Seiten langen, in Blockbuchstaben ausgefüllten Formular. Und weil ich nicht weiß, ob der Kastanienbaummist mit den Motteneiern drin ernsthaft kontaminiert ist oder nicht, steig ich aus dem Auto und geh halt fragen, ob ich ihn eh da lassen darf. Es ist zehn Uhr am Vormittag und draußen hat es zwei Grad minus. Die Herren Saubermacher haben sich in die Zentrale zurückgezogen. Das ist ein kleines Häuschen in der Mitte des Platzes. Drinnen ein enges Büro mit drei Schreibtischen und ein winziger Vorraum mit einer Tür in den Aufenthaltsbereich der Saubermacher. Im Vorraum steh ich und vor mir die Oma - nicht meine Oma, eine andere - und will die Psyche entsorgen lassen. Ich steh mir derweil die Füße in den Bauch. Neben mir geht die Tür auf und ich rieche ... ich schnofel noch mal... ich rieche Suppe! Echte, gute, feine Rindsuppe. Ich pack´s nicht. Da steh ich am Müllplatz, mit meinen Säcken voll Miniermotteneiern und eigentlich sollt´s ja hier stinken, aber es riecht nach richtig guter hausgemachter Rindsuppe - nicht nach irgendwelchen verrotteten Lebensmitteln oder vielleicht nach Leberkässemmerln oder Schnitzelsemmerl und auch nicht nach denen mit mit der Extrawurst drin. Nein, es riecht nach frisch gekochter Rindsuppe. Die Oma kennt sich noch immer nicht aus, aber der Herr Saubermacher ist geduldig und ich fang zwischenzeitlich an zu sabbern, weil ein paar Meter neben mir in der kleinen Küche ein riesiger Topf Suppe am Herd brodelt. Außerdem ist mir kalt. Die Oma hat sich mit dem Herrn geeinigt, dass die Psyche abgeholt wird und ich darf endlich meine Fragen stellen:
1. Ist es gestattet hier Kastanienbaumblätter mit Miniermotteneiern abzuladen oder handelt es sich um Sondermüll? - Der Herr Saubermacher zwickt die Augenbrauen zusammen und schaut mich fassungslos an. Danke, ich kenn mich schon aus, sag ich und frag schnell weiter, muss aber aufpassen, dass ich nicht spuck dabei:
2. Kochen Sie hier Rindsuppe? - Der Blick wird freundlich und der Saubermacher meint: " Na, Sie haben aber ein feines Näschen!" - Ja, hab ich, danke! Und - meine Herren Saubermacher - ich bin schwer beeindruckt. Ein Schippel Männer auf einem Müllabladeplatz kocht an einem grauslichen Novembertag bei minus zwei Grad in der Gemeinschaftsküche einen Topf voll feinster, ehrlicher Rindsuppe zum Mittagessen, während das Gros der (Haus)frauen wahrscheinlich Suppenwürfel ins Wasser bröselt! Meine Verehrung!Ich lade meine Motten ab, setze mich wieder ins Auto und stelle fest: Hier riecht es auch nach Suppe! Ich bin so lange da drin hinter der Oma gestanden, dass meine Jacke sich voll gesogen hat mit Suppendunst. Darum riecht es jetzt in der Gärtnerei nach Suppe und auf der Post und auf der Bank... und auf dem Weg nach Hause quietsch ich mich ein und nehme die Einfahrt zum Radatz. Der hinter mir zeigt mir den Vogel. Ein Stückerl Rindfleisch zum Kochen hätte ich gerne und ein paar Markknochen, bitte.
- 500 g gutes Rindfleisch zum Kochen, Beinfleisch, Meisel,...
- 2-3 blanke Rindsknochen, am besten mit Mark drin
- Suppengrün, bestehend aus ein paar Karotten, gelben Rüben, einem kleinen Stück Lauch, Sellerie und Petersilwurzel
- Schalen von einer braunen oder roten Zwiebel
- 1 TL Pfefferkörner
- einige Stengel firsches Petersiliengrün
- und wenn sie haben, einen kleinen Stengel Liebstöckl, aber nicht mehr
- Salz natürlich
Das Fleisch und die Knochen kurz mit lauwarmen Wasser abwaschen um Verunreinigungen und Knochensplitter zu entfernen. Dann das Fleisch und die Knochen in einem Topf mit ca. 3-4 Liter kaltem Wasser aufsetzen, aber da teilen sich die Meinungen. Der Herr Plachutta meint, dass die Suppe kalt angesetzt werden soll, wenn das Fleisch nicht weiter verwendet wird, da es auslaugt, aber das Kaltzustellen die Qualität der Suppe fördert. Will man das Fleisch essen, soll es ins kochende Wasser eingelegt werden. Ich setze meine Suppe immer kalt an, wurscht ob ich das Fleisch esse oder nicht.
Das Wasser zum Kochen bringen und die entscheidende Phase abwarten - nämlich kurz bevor das Wasser zu wallen beginnt. Die Hitze reduzieren und den aufsteigenden Schaum mit einem Löffel oder einem kleinen Sieb abschöpfen. Das entfernt Trübstoffe in der Suppe und die Suppe wird klarer, was zur hohen Kunst der Suppenkocherei gehört.
"Vor allem darf man ein gutes Abschäumen nicht als Nebensache betrachten. Zu dem Zweck ist es nothwendig, daß die Suppe auf raschem Feuer zum Kochen gebracht wird, weil gerade dadurch der Schaum sich zusamenzieht, wo derselbe im anderen Falle der Boillon mitgetheilt wird und nicht vollständig abgenommen werden kann. Hierbei darf man den Zeitpunkt nicht vorübergehen lassen, wo der Schaum sich hebt, weshalb man wohl thut, vorher den Schaumlöffel zur Hand zu legen."
(Henriette Davidis - Kochbuch für die gewöhnliche und feinere Küche, 1876)
Erst wenn die Suppe eigentlich schon fertig ist, geben Sie das Petersiliengrün dazu und lassen alles nochmal 10 Minuten durchziehen. Anschließend abseihen. Dabei den Bodensatz nicht aufwühlen und den letzten Zentimeter Flüssigkeit im Topf belassen. Gemüse und Fleisch herausfischen und in einen Suppentopf geben. Mit Suppe auffüllen und mit frisch geschnittenem Schnittlauch bestreuen. Klassische Suppeneinlagen sind in Wien Nudeln, Grießnockerl oder Fritatten. Besonders fein sind Markscheiben! Und wer Fettaugen entfernt ist ein Depp.
So, meine lieben Herren Saubermacher. Ich hoffe, dass das Rezept Ihrer Suppe gerecht wird. Ich hätte Sie wirklich gern verkostet, an diesem grauslichen Vormittag im November bei minus zwei Grad, was ich im übrigen als geniale Idee für ein neues Kundenservice erachte ;-)
Und wenn Sie noch so lieb wären, sich um meine Motten zu kümmern! Vielen Dank und einen ganz lieben Gruß!